Von Rolf Bona
Was macht ein gutes Notrufgerät aus? Der Nutzer kann es mit Leichtigkeit bedienen und der Notruf funktioniert auch im Notfall. Während Smartphones und Smartwatches für viele Menschen nützliche Werkzeuge sein können, gibt es mehrere Gründe, warum sie als Notruflösung für Senioren ungeeignet sind. Als Faustregel gilt, kann ein Senior noch mit Smartphone selbständig umgehen, denkt ans aufladen und ist mit Softwareupdates nicht überfordert braucht er noch kein Notrufgerät. Aufgrund meiner Erfahrung wird ein Notrufgerät erst ab 80 Jahren zum Thema, also für hochaltrige Senioren.
Über ein Jahrzehnt durfte ich als Leiter der grössten Notrufzentrale der Schweiz tätig sein und in dieser Zeit konnte ich über 2.5 Mio. Notrufrufe auswerten und es gibt kein Notrufgerät, keine Notrufapp oder Smartwatch mit Notruffunktion welche ich nicht eingehend geprüft habe und in Anwendung hatte. Leider kristallisierte sich schnell heraus, dass Smartphones, Smartwatches oder Apps als Notruflösung für hochaltrige Senioren denkbar ungeeignet sind. Was verstehe ich unter hochaltrige Senioren. Mit 80 Jahren geltet man nicht automatisch als hochaltrig. Denn Hochaltrigkeit bezieht sich nicht nur auf das Alter, sondern auch auf die eingeschränkte Selbstständigkeit: Ein Senior gilt dann hochaltrig, wenn im hohen Alter die selbstständige Bewältigung des Alltags grössere Schwierigkeiten bereitet und vermehrt Hilfe von aussen benötigt wird. In diesem Kontext geht es entsprechend um die Kriterien für ein Hilfsmittel welche das verbleiben in den eigenen vier Wänden ermöglichen kann.
Gerne gehe ich etwas tiefer auf die Vielzahl von Argumenten ein:
- Kognitive Fähigkeiten: Smartphones und Smartwatches können ziemlich komplexe Geräte sein, insbesondere für Personen, die nicht daran gewöhnt sind, solche Gadgets zu bedienen. Ältere Menschen haben Schwierigkeiten, durch verschiedene Apps, Einstellungen und Funktionen zu navigieren, was ihre Fähigkeit beeinträchtigt, das Smartphone oder die Smartwatch im Notfall effizient zu nutzen. Ebenfalls werden Software-Updates oft zu unüberwindbaren Hürden.
- Akkulaufzeit: Smartphones und Smartwatches müssen regelmässig aufgeladen werden, und die Akkulaufzeit kann je nach Nutzung und Alter des Telefons und der Uhr variieren. In Notfällen könnte der Akku des Geräts gerade leer sein, sodass das Gerät nicht verfügbar ist, wenn es gebraucht wird. Ebenfalls ist der Nutzer nicht geschützt in der Zeit, während der das Gerät am Ladekabel angeschlossen ist. Bei einem klassischen Notrufgerät muss der Notrufknopf nie aufgeladen werden und das Basisgerät ist immer am Strom angeschlossen.
- Lautstärke: Für eine gewisse Lautstärke in der Kommunikation braucht ein Gerät eine gewisse Grösse, auch Resonanzkörper genannt. Entsprechend kann über eine Smartwatch kaum kommuniziert werden. So führen Smartwatches des Öfteren zu unzähligen Fehlalarmen und Einsätzen, da mit dem Nutzer nicht oder nicht ausreichend kommuniziert werden konnte. Hier wurden und werden leider immer noch viele unnötige Kosten und Einsätze generiert. Solche Fehlalarme sind auch für die Angehörigen ein grosser Stressfaktor und für die Einsatzzentralen ein immer grösser werdender, unnötiger, ressourcenbindender Aufwand.
- Physische Einschränkungen und feinmotorische Fähigkeiten: Viele ältere Menschen haben physische Einschränkungen, wie schlechte Sehkraft, Arthritis oder zittrige Hände, was es erschwert, die kleinen Tasten, den Touchscreen oder die komplexen Benutzeroberflächen eines Smartphones zu bedienen. Hinzu kommt, dass die Haut im Alter trockener und weniger leitfähig wird. Die Folge: Senioren tippen auf eine Schaltfläche und es passiert nichts.
- Zuverlässigkeit: Klassische Notrufsysteme sind spezifisch auf Notfallsituationen ausgerichtet. Sie verfügen oft über dedizierte Notfallknöpfe, die einfach zu drücken und so programmiert sind, dass sofort Notdienste oder festgelegte Kontakte alarmiert werden. Smartphones erfordern möglicherweise mehr Schritte, um einen Notruf zu starten, was zu Verzögerungen führen könnte, wenn Zeit entscheidend ist.
- Zugänglichkeit: Dedizierte persönliche Notrufgeräte können als Accessoires getragen oder an bequemen Stellen platziert werden, wie um den Hals oder das Handgelenk, um sicherzustellen, dass sie immer in Reichweite sind. Smartphones werden hingegen nicht immer mitgeführt oder können in einem entfernten Raum liegengelassen werden, was sie während Notfällen unerreichbar macht.
- Fehlalarme: Smartphones können versehentlich falsche Alarme auslösen, aufgrund unbeabsichtigter Berührungen oder unbeabsichtigter Aktivierungen. Dedizierte persönliche Alarmsysteme sind darauf ausgelegt, solche Vorfälle zu minimieren.
- Alarmzentralen vs. Notrufzentralen: Ein klassischer Notruf eines Notrufgeräts geht bei einer Notrufzentrale ein, welche die Anrufe bearbeitet und gegebenenfalls eine Alarmzentrale alarmiert. Smartphones oder Smartwatches gehen meist direkt an eine Alarmzentrale, welche entsprechend vermehrt über übermässiges Volumen klagt. So kommt es zu vielen unnötigen Einsätzen.
- Fokus auf Notfallkontakte: Persönliche Alarmsysteme sind darauf ausgerichtet, Notrufzentralen oder festgelegte Kontakte schnell zu kontaktieren. Smartphones, mit ihren vielfältigen Funktionen und Anwendungen, bieten nicht dasselbe Mass an schlankem Funktionsumfang.
- Kosten und Lebensdauer: Abhängig vom Modell und Tarif können Smartphones relativ teure Geräte sein, die es zu pflegen gilt. Smartwatches funktionieren auch oft nur Zusammenhang mit Smartphones, was die Anschaffung von zwei Geräten mit sich bringt. Dedizierte persönliche Alarmsysteme können kostengünstigere Lösungen anbieten, die speziell auf Notfallsituationen ausgelegt sind. Grundsätzlich haben klassische Notrufgeräte eine Lebensdauer von durchschnittlich sieben Jahren.
- Mobilempfang: Bei einem klassischen Notrufgerät wird die Basisstation so in einer Wohnung positioniert, dass diese Mobilfunk-Empfang hat. Der Notfallknopf selber funktioniert lediglich über Funk und kann entsprechend auch aus Räumen welche über keinen Empfang verfügen den Alarm auslösen. Ohne Mobilempfang können weder Smartphones noch Smartwatches einen Notruf auslösen.
- Notrufeingang: Viele Smartphones und Smartwatches mit Apps benötigen bei den Angehörigen ebenfalls eine App um den Notruf zu empfangen. Was wiederum zu Zeitverlusten und technischen Herausforderungen oder Zusatzkosten führen kann.
- Software Updates: Smartphones und Smartwatches benötigen häufige Softwareupdates welche meistens vom Benutzer angestossen werden müssen, andernfalls kann die Usability des Gerätes beeinträchtigt werden. Gute klassische Notrufgeräte verfügen über eine sichere Plattform im Hintergrund welche bei Bedarf Systemupdates einspielen kann ohne Mitwirkungspflicht des NutzersAus diesen Gründen wird auch in naher Zukunft kein Weg am klassischen Seniorennotruf für vorbeiführen. Nur klassische Notrufgeräte garantieren einen schnellen Zugang zu Hilfe und eine Überwachung der Funktionsfähigkeit der Notrufgeräte, da die simple Funktionsweise auf die Fähigkeiten von hochaltrigen Benutzern abgestimmt ist. Notruflösungen sollten immer auf die Fähigkeiten des Benutzers abgestimmt sein, so können Smartphones und Smartwatches durchaus genutzt werden um einen Notruf auszulösen, sind aber auf die Fähigkeiten jüngerer Senioren ausgerichtet.
(Müller, 2023) (Bürgler, 2023) (Hofstädter, 2023) (Landolt, 2023; Landolt, 2023) (Turnherr, 2023)
Quellenverzeichnis
Bürgler, E. (02. Februar 2023). tagesanzeiger.ch. Von Fehlalarme ärgern Rettungskräfte - Apple Watch und iPhone lösen falsche Notrufe beim Skifahren aus: https://www.tagesanzeiger.ch/apple-watch-und-iphone-verursachen-fehlalarme-beim-skifahren-346515488777 abgerufen
Hofstädter, & Hofstädter, P. (03. Februar 2023). a1blog.net. Von Falscher Alarm: Wenn dein Smartphone einen Notruf absetzt: https://www.a1blog.net/2023/02/03/falscher-notruf/ abgerufen
Landolt, N. L. (07. Juni 2023). luzernerzeitung.ch. Von Ungewollte Notrufe haben sich mehr als verdoppelt: Die Kantonspolizei schlägt Alarm und gibt Tipps: https://www.luzernerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/notfall-ungewollte-notrufe-haben-sich-mehr-als-verdoppelt-die-kantonspolizei-schlaegt-alarm-und-gibt-tipps-ld.2468707 abgerufen
Müller, M. (13. Juni 2023). 200 ungewollte Anrufe – an einem Tag. Schweizer Alarm-Zentralen mit flalschen Notrufen überschwemmt. Von blick.ch: https://www.blick.ch/news/200-ungewollte-anrufe-an-einem-tag-schweizer-alarm-zentralen-mit-falschen-notrufen-ueberschwemmt-id18662734.html abgerufen
Turnherr, C. (13. Juni 2023). fm1today.ch. Von Zunahme ungewollter Notrufe: «Schlimm für Personen, die wirklich in Not sind»: https://www.fm1today.ch/ostschweiz/stgallen/zunahme-ungewollter-notrufe-schlimm-fuer-personen-die-wirklich-in-not-sind-151993420 abgerufen